Historische Reden

 

Reden zum 660. Dorfjubiläum von Krudenburg 1963

 

 

 

1. Redner: Kurt von Mallinckrodt sen., 1963, 600 Jahre Krudenburg)

 

An der Straßenabschlußmauer

 

Meine sehr verehrten Festgäste und liebe Krudenburger !

Ich bitte um Entschuldigung, daß ich Ihren durch Marschmusik beschwingten und kaum begonnenen Marsch hier für einige Minuten unterbreche. Indessen steht man hier in unserem Krudenburg fast Schritt für Schritt auf historischen Boden, und bei diesem Geburtstagsspaziergang hat der Gemeinderat die Absicht, Ihnen allen in möglichster Kürze und Anschaulichkeit jeweils an Ort und Stelle die wesentlichsten Tatsachen aus der Geschichte unseres Dorfes vor Augen zu führen. So bin ich nun beauftragt, Ihnen an dieser Stelle, an der seit Jahrhunderten der Lippeübergang von Krudenburg nach Hünxe war, die verschiedenen Formen dieses Überganges im Laufe der langen Zeit zu schildern. Soviel wir aus den frühesten Beschreibungen entnehmen können, hat es an dieser Stelle nicht immer eine Holzbrücke gegeben, durch welche die Krudenburg mit ihren Hünxer Nachbarn verbunden war. 1678 ist zwar eine Brücke da, aber in einer Urkunde von 1747 wird vielmehr eine alte Fährfrau erwähnt. Jedoch 1820 wieder ist solche Holzbrücke, die vermutlich vor 1800 erbaut war, in eine alte Karte eingezeichnet, und diese direkte Verbindung wird dadurch auch verständlich, daß die Herrschaft von Krudenburg durch Jahrhunderte das Patronat über die Hünxer Kirche innehatte, das heißt, daß sie die Pastoren in der Hünxer Kirche einsetzt und betreute, daß sie die Verwaltung über den großen Hünxerwald hatte und davon im Laufe der Zeit viele große Waldstücke der Hünxer Kirche vermachte, wie eben in katholischer Zeit vor der Reformation von Seiten hoher Herrschaften gar viel für ihr Seelenheil den Kirchen gestiftet wurde, sowohl Landbesitz als auch Altäre in den Kirchen. Die Förster oder Vögte, also die Verwaltungsbeamten der Schloßherrschaft, - in alten Urkunden sind z.B. Förster Erlenhagen und auch Vogt Giesberts genannt - wohnten hier in unserem Dorfe. Sie waren wohl so eine Art Verwalter oder Rentmeister der Schloßherrschaft, die ja selbst längst nicht immer in der Krudenburg wohnte. Die enge Verbindung durch eine jederzeit passierbare Brücke kam durch die stetig zunehmende Lippeschiffahrt wohl in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts auf landesherrlichen (also preußischen) Befehl fort, weil sie mit ihren vielen Holzpfeilern der Treidelschiffahrt sehr im Wege war. Immer mehr Schiffe - vielfach sogar aus Holland - befuhren die Lippe bis in die Gegend von Hamm, um von dort Salz zu holen, und später dann auch wohl Kohlen aus der Dorstener Gegend. Daher also mußte die Brücke abgebrochen werden. Der Fiskus aber mußte die Verbindung - die ja der Schloßherrschaft gehörte - in anderer Weise ersetzen. Das geschah dann durch eine Stromfähre. Solche vom Strom selbst angetriebene Fähre hat an dieser Stelle bis 1940 - also über 100 Jahre lang, - den Verkehr, auch den Verkehr mit Pferd und Wagen und nachher den immer mehr zunehmenden Autoverkehr, aufrecht erhalten. Daß dies mit erheblichen Schwierigkeiten und Gefahren verbunden war, werden Sie leicht einsehen, wenn Sie bedenken, daß es hier hinter mir bis zum Wasserspiegel etwa 6 Meter tief hinuntergeht und daß alle Fuhrwerke auf der gleichen kurzen Strecke von jenen Häusern bis zum Flußufer dies Gefälle überwinden mußten, um am Ende auf einem flachen Fährkahn von genügender Breite und Länge, so dass gerade ein vierrädriger Bauernwagen (Leiterwagen) Platz hatte, sehr schnell zum Stehen zu kommen. Stellen Sie sich diese gefährliche Fährauffahrt zu Winterzeit bei Schnee und Eis vor, und Sie werden begreifen, daß für ein Langholzfuhrwerk dieser Lippeübergang auf seinem Wege vom Hünxerwald zum Sägewerk oder zur Bahn nach Drevenack das schlimmste Hindernis war. Für den wachsenden Autoverkehr erschien diese steile Ab- und Auffahrt zur Fähre derart riskant, daß die meisten Autofahrer diese Straße mieden und lieber den Umweg über Wesel in Kauf nahmen. Für die Überfahrt mußte natürlich bezahlt werden, denn der Fährmann war Pächter der Fähre, die dem Staat gehörte und hatte einen festen Tarif , nach welchen er sich seine Mühen bezahlen lassen durfte. Krudenburger Einwohner mußten allerdings gebührenfrei übergefahren werden, denn das hatte  die Schloßherrschaft oder der Curator, welcher derzeit wohl die Freifrau von Quadt-Hüchtenbrock auf Gartrop war, so ausbedungen. Der Tarif sprach von Überfahrtsgeldern, die uns heute kaum nennenswert erscheinen mögen: Fußgänger zahlten 2 Pfg., ein Fahrradfahrer vielleicht 5 Pfg., ein fremdes Karrenfuhrwerk etwa 20 - 25 Pfg., und die seltenen Autos wohl 30 Pfg. Leiterwagen und Langholzwagen mit 2 Pferden davor mußten allerdings wohl 40 - 60 Pfg. bezahlen. Der Fährmann hatte für damalige Verhältnisse aber doch recht gute Einnahmen und konnte die geringe Pacht für die Fähre wohl gut davon aufbringen. Während der Fährmann oder Pontenpächter bis etwa zum ersten Weltkriege der Gastwirt Scholten, genannt Schwanen, war, übernahm später der Wirt Heinrich Scholten von der hier gelegenen Gastwirtschaft „Scholten am End“ die Fähre. Als man ihm um die 1930er Jahre einmal an einem Himmelsfahrtstage anbot: "Heinrich, leih mir für heute die Fähre, ich zahle dir heute abend 100 Mark dafür!", da lachte er nur und ging auf das Geschäft nicht ein. Aber so war es natürlich nur ausnahmsweise mal recht lohnend, die Fähre zu bedienen. Lohnend aber muß es wohl immer gewesen sein. Nur nicht für die Verkehrsteilnehmer selbst; denn auch der durch die steile Abfahrt weniger gefährdete Fußgänger oder Radfahrer hat sicherlich oft auf das Verkehrshindernis geflucht, besonders wenn man an kalten Regentagen von der Hünxer Seite her um Überfahrt bitten mußte. Das tat man mittels einer dort aufgehängten Schiffsglocke, mit der man laute Zeichen geben konnte. Dennoch wurden diese flehentlichen Rufe oft und oft sehr sehr lange überhört und man stand frierend und ohne Schutz am jenseitigen Ufer. Nachts war schon kaum eine Möglichkeit, über die Lippe zu kommen. Bei Treibeis zur Winterzeit lag die Fähre oft auch still. Mit einem Kahn versuchte man an einem Seil wenigstens Fußgänger, z.B. die Krudenburger Zechenarbeiter und Bergleute überzusetzen, aber das ging auch nicht immer. Auch bei Hochwasser kam der Fährbetrieb oftmals gänzlich zum Erliegen, besonders dann, wenn die Fähre durch Kettenbruch abgetrieben wurde und erst mal unter Aufgebot sämtlicher Krudenburger Arbeitskräfte wieder vom Pollufer zurückgeholt werden mußte. Außer diesen Beschwerden hat es tatsächlich zahlreiche schlimme Verkehrsunfälle mit tödlichem Ausgang hier gegeben. Ich erinnere mich, daß z.B. im Jahre 1909 ein Bierwagen mit zwei Pferden von seinem Unglücklichen Kutscher auf der Fähre nicht rechtzeitig zum Stehen gebracht werden konnte, daher also über die Fähre in die Lippe fuhr, wo Mann und Roß und Wagen in den Fluten versanken. In den zwanziger Jahren - etwa 1926 - wollte ein Mädchen aus Obrighoven die Hünxer Kirmes besuchen. Sie fuhr mit ihrem Fahrrad auf die vollbezetzte Fähre und weiter laut um Hilfe schreiend durch die Menschen hindurch an der Hünxer Seite der Fähre in die Lippe hinein und ertrank. Ein ähnliches Unglück geschah einem mit mehreren Menschen besetzten Auto. Auch in diesem Falle war ein Toter zu beklagen. Solche Gefahren hatten den Herrn Landrat von Werder auf Eingaben des hiesigen Amtsbürgermeisters veranlaßt, sich energisch für die Abschaffung der Fähre und für den Bau einer Brücke einzusetzen. Er hatte Gelegenheit gefunden, Brücken zu erwerben, die im Industriegebiet an Kanälen abgebaut wurden. Die Brückenteile lagen bereits an der 1926 fertiggestellten Kanalbrücke von Hünxe. Der Plan scheiterte an der Nichtbeteiligung des Kreises Dinslaken an den Brückenbaukosten. Nachdem aber in der Kriegszeit 1941 am 6. Januar unsere Fähre durch Treibeis zum Sinken gebracht war und der gewachsene Verkehr nunmehr auch die Dinslakener Kreisbehörde zur Kostenbeteiligung geneigt gemacht hatte, wurde endlich der Bau einer Holzbrücke verwirklicht. Und zwar sollten Pioniere, die in Wesel lagen, diese Brücke erbauen. Sie haben auch vom 11. März 1941 an drei Wochen lang an der Brücke gebaut, aber weil die Einheit dann von Wesel fortverlegt wurde, hat die Firma Trapp die HoIzbrücke fertiggestellt. Am 20.4., 27.4. und am 4.5.1941 arbeiteten dann Hünxer, Drevenacker und Krudenburger Bauern mit Gespannen an der Aufschüttung der beiderseitigen Auffahrten zur Brücke. Bald darauf wurde dann die Brücke zunächst für 4 t, dann aber am 8.Juni für 1,5 t Höchstbelastung dem Verkehr übergeben. Weil die Brücke sehr schmal war, wurden auf beiden Seiten auf der Brücke Ausweichstellen für Fußgänger ausgebaut. Natürlich hat solch eine Holzbrücke nur eine recht begrenzte Lebensdauer von etwa 10 -15 Jahren. Der Ausgang des Weltkrieges aber brachte sie noch schneller ums Leben: Sie wurde 1945 gesprengt. Schon 1946 arbeitete man am Bau einer gleichartigen neuen Holzbrücke, die auch 1947 schon fertig wurde. Auch die ebenfalls gesprengte Kanalbrücke mußte erneuert werden, was dann 1949/50 geschah. Damit war der Weg nach Hünxe erst wiederhergestellt. Ein seltsamer Fall, daß der letzte Fährmann der Krudenburger Lippefähre als Toter in seinem Sarge auf dem Leichenwagen mit einem Fuhrwerk als erstes die neuerbaute Kanalbrücke im Januar 1950 passierte. Der Verkehr wuchs von Jahr zu Jahr. Die Straße nach Hünxe bekam 1950 eine neue Teerdecke, ebenso 1951 die Straße nach Drevenack. Auf diesen Straßen ließ sich gut fahren, aber die Lippebrücke bildete buchstäblich einen schlimmen Engpaß für den Verkehr. Zeitweise wurde sie wegen zu starker Durchbiegung für den Verkehr gesperrt. So noch im April 1954, und bis über die Sommermitte mußte dann wieder mit einer Kahnfähre dafür gesorgt werden, daß wenigstens Fußgänger und Radfahrer über die Lippe kommen konnten. Wenn die Reparatur vollendet war, mußte bald schon wieder der Bohlenbelag der Brücke erneuert werden (1955). Kurzum, man war bei allen Ämtern zur Einsicht gekommen, daß eine dem jetzigen Verkehr entsprechend Lippebrücke erbaut werden und dabei gleichzeitig der enggebaute Ort Krudenburg umgangen werden müsse. Zeitungen berichteten schon 1955 von Plänen für eine neue Eisenbrücke, die über 2,1 Millionen Mark kosten solle. Als aber am 2. Mai 1956 tatsächlich mit dem Bau der neuen Lippebrücke begonnen wurde, war schon klar, daß man eine Betonbrücke in eigenartig gekrümmtem Schwung oberhalb des Ortes über die Lippe bauen wollte, die mitsamt der zugehörigen Umgehungsstraße über 4 Millionen Mark kosten würde. Von nun an arbeiteten in Gemeinschaft die Firmen Trapp (Wesel), und Bauhaus (Paderborn), bis 1958 an der großen Brücke, die bald von vielen Zeitungsleuten als eine der schönsten am Niederrhein beschrieben wurde. Im Juni desselben Jahres wurden hier vorne die letzten Pfeiler unserer alten Holzbrücke, die aber aus Eisen waren, von Tauchern unter Wasser abgebrannt, und als dann drüben wie auch hier die Betonklötze der alten Brückenwiderlager weggesprengt waren, sah es fast so aus wie jetzt. Aber diese Mauer, auf der ich stehe, ist erst im August des Jahres 1959 aus Beton errichtet und mit Sandstein verblendet worden. Zumal auch jetzt hier nebenan bei Nuyken, eine starke Mauer gegen die Strömung errichtet wurde, wird unser Dorf wohl in besserer Weise gegen direkten Wasserstrom geschützt sein, als man es früher durch Holzbohlen zu erreichen suchte, die man bei Hochwassergefahr in jene Eisenschienen einfügte, welche sie an den gegenüberliegenden Hauswänden hinter sich sehen. Und daß die Wasserflut tatsächlich bis über die Straßenhöhe anstieg, das sehen Sie an den Wasserstandstafeln des Hauses Nuyken, gleich neben der Haustüre. Nachdem nun im wesentlichen die Entwicklung des hiesigen Lippeüberganges beschrieben ist, möchte ich an diesem Platze nochmals die friedlich-lieblichen Bilder in unsere Erinnerung rufen, die uns die alte Fähre und auch die alte und enge Holzbrücke bot. Wie ich selbst, so hat gewiß jeder Krudenburger meines Alters als Junge einen wesentlichen Teil seiner Spielzeit in der Fährbude verbracht, wo der Vater unseres heutigen Vereinswirtes als Fährmann und Bastler nicht nur alle Fahrräder des Ortes reparierte, sondern auch um etwa 1913 schon das erste Motorboot aus abgewrackten Automotor und selbstgebauter Schiffsschraube zusammenbasstelte. Hier war zu der Zeit für die Dorfjugend immer was los. Ob nun der alte Dupré Fährmann war und zur Sommerzeit die Leute durch seine tollkühnen Tauchversuche unter der Fähre hindurch in Atem hielt, oder ob später, viel später der halbverrückte Fährknecht Berger seine unnachahmlichen Reden auf der Fähre vom Stapel ließ. Einmal aber, an einem Samstag vor der Karwoche 1920 geschah hier etwas sehr Schreckliches: Damals waren hier im "Wetter- und Watterwinkel" im Anschluß an den Putschversuch von Kapp im Industriegebiet von Hagen und Wuppertal her ausgehend Arbeiterunruhen ausgebrochen. Es hatte sich eine Rote Armee gebildet, die im Kampf gegen Polizei und Wehrmacht von Süden her bis in diese Gegend vordrang und erst vor Wesel (das heißt: in der hiesigen Gegend ) durch verstärkte Polizei- und Reichswehreinheiten sowie durch Freiwilligenverbände zum Stehen und zum Weichen gebracht wurde. Die hiesige Fähre war durch einen Laufsteg zu einer primitiven Fußgängerbrücke verlängert worden, und die Angehörigen der Roten Armee wechselten zwischen Hünxe und Krudenburg bis zur "Front" bei Obrighoven am Vinkel hinüber und herüber. An jenem Samstag nun hatten endlich die regierungstreuen Streitkräfte, also Polizei und mit Hilfe ihrer Artillerie, welche schon im allerfrühesten Morgengrauen viele Häuser in Krudenburg durchlöchert und abgedeckt hatte, endgültig die Oberhand gewonnen. Sie besetzten unser Dorf und spickten gleich alle Fenster nach Hünxe hin mit Maschinengewehren. Die Roten hatten sich indessen bei ihrem Rückzug vorgenommen, die in die Dorfstraße einmarschierenden Regierungstruppen durch einen unverhofften Feuerüberfall erheblich zu schwächen, wenn nicht gar zu schlagen. Darum hatten sie sich hier drüben in mehreren größeren und kleineren Schützenlöchern auf der flachen Wiese eingegraben. Da drüben stand ein Weidenbaum, und vor dem Weidenbaum war das größte Schützenloch ausgehoben. Man kann von dort durch unsere Dorfstraße ganz hindurchsehen – und natürlich auch schießen. Da lagen die Roten nun und lauerten, bis eine Reichswehrgruppe durch die Dorfstraße einmarschierte. Mit einem plötzlichen Feuerüberfall erreichten sie fast ihre Absicht, denn es gab tatsächlich auf Seiten der Reichswehr einige Tote u. Verletzte. Dann aber kam die Rache in Gestalt einer Granatwerfergruppe der Polizeikräfte. Wenn die Granaten in die Schützenlöcher der Roten fielen, blieb den Überlebenden nur die Flucht über die freie Wiese, und diese Flucht gelang kaum einem einzigen, denn dann bellten aus allen Häusern im Dorf die Maschinengewehre und mähten alle Flüchtlinge nieder. Die Spiekwiese da drüben sah aus, wie mit Maulwurfshügeln übersät. Das aber waren lauter tote Menschen. Zuletzt stürmte eine Freiwilligengruppe über den Laufsteg der Fähre auf die schon fast wehrlosen roten Grabenschützen los und vernichtete sie mit Handgranaten und Kolbenhieben. Am Ostermorgen wurden die Toten dann teils mit Schubkarren in das von ihnen selbst gegrabene Loch geworfen und so begraben. Über 60 Tote lagen in dem einen Massengrab. Sie wurden allerdings 1932 zum Friedhof Dinslaken umgebettet, aber bis zu diesem Jahre fand an jedem ersten Maitage eine Massendemonstration kommunistischer Arbeiter aus Lohberg und Dinslaken an dieser Stelle statt. Die dann gehaltenen Reden richteten sich auch bedrohend gegen unser Dorf. Man machte den Menschenmassen klar, dass die Dorfbewohner diese toten Rotfrontkämpfer auf dem Gewissen hätten, denn die hätten sie an die Regierungsstreitkräfte verraten. So ergab sich alljährlich für unser Dorf am 1. Mai eine bedrohliche Situation. Daraus mag dem einen oder anderen verständlich werden, daß unser Dorf schon im Jahre 1932 fast ausnahmslos Adolf Hitler wählte. Das hatte also mit überlegter politischer Einstellung oder weitschauender politischer Einsicht recht wenig zu tun. Es war mehr die natürliche Reaktion auf eine ständige Bedrohung, die wir gerne beendet sehen wollten. Diese Sorge im Verein mit der allgemeinen Arbeitslosigkeit jener Zeit ließ auch hier die Redensart laut werden. "Es muß anders kommen.... " nur nicht mit dem Zusatz "ganz gleich, wie !", denn für die Kommunisten hatten die Krudenburger aus besonderem Grund eben nichts übrig. Was an dieser Stelle des Dorfes aus der Geschichte der letzten 600 Jahre bekannt und von besonderem Interesse ist, glaube ich damit gesagt zu haben. Es wäre von hier noch ein weiterer Rückblick bis in fast vorgeschichtliche Zeit möglich, wenn uns die neue Straße da drüben nicht die Aussicht auf einen seltsam geformten Wiesenhügel versperrte, der mit Eichen bestanden einem der bekannten Hünengräber ähnelt! "Simsons Berg" ist aber wohl kein Hünengrab gewesen, sondern vielleicht das Fundament für ein altes römisches Kastell. Unmittelbar hinter der Lippekrümmung drüben fand man unzählige uralte Pfähle in den Uferschlamm der Lippe eingerammt. Man darf dort wohl die Existenz einer Römerbrücke vermuten, welche wahrscheinlich den Zweck hatte, die beiden Römerstraßen, die nördlich und südlich an der Lippe entlang nach Osten führten, zu verbinden. Es ist uns allen klar, daß das Dorf Krudenburg älter als 600 Jahre ist, aber der Krudenburger Lippeübergang, wenn auch nicht genau an dieser Stelle, ist nach diesen Erkenntnissen bestimmt vielmals älter, mindestens dreimal so alt. Zumal auf der Hünxer Seite ein Feld bei Hesse im Volksmund noch den Namen „de lange Brügge“ trägt.

 

 

(2. Redner: Alfred Wilhelm Scholten.)

An der Straßenauffahrt In dieser, nach südwestlicher Richtung vor uns liegenden Niederung hat das alte Schloß gestanden. Nicht etwa auf dem Hofplatz, auf dem das jetzige Restaurant und die Wohnung des Besitzers sowie der alte Burgfried stehen. Das war damals nur der Wirtschaftshof des Schlosses und ein Vorhof der Burg. Der Zingelgraben ging ursprünglich auch südlich, also zwischen dem jetzigen Dorf einerseits und dem Turm und dem jetzigen Wohnhaus andererseits, vollständig um den alten Wirtschaftshof herum. Der heutige Ziergarten vor dem Wohnhause ist erst um 1830 - 1840 von Albert Benninghoff zugeschüttet und eingerichtet worden. - Von dem uns zugekehrten Tor in der Hofmauer des Wirtschaftshofes führte eine Zugbrücke über die mit Wasser gefüllte Niederung auf das Schloß zu. Dieses stand aber auch nicht etwa auf dem viereckigen erhöhten Gelände, das Sie in der Mitte der Wiese dort vor sich sehen. Dieses Gelände war der zum Schlosse gehöriger Garten oder Obsthof. Das Schloß hat vielmehr hier dicht vor uns, unmittelbar hinter der vom Garten und den Feldern hier eingenommenen Erhöhung in der Niederung des Zingelgrabens mitten im Wasser gestanden. Es war also, wie Schloß Gartrop und viele andere, eine richtige Wasserburg. Dies alles geht aus einem alten Plan von Krudenburg mit dem Schlosse, der etwa aus der Zeit um 1720 stammen mag, hervor. Das Wasser für den Burggraben wurde aus der Lippe zugeführt und auch dahin wieder abgeleitet. Es kam von Norden her, wo heute doch gar keine Lippe ist, und floß nach Südwesten ab, wo heute noch der Abfluß erhalten ist, für den Fall, daß Hochwasser die vor uns liegende Niederung mit Wasser füllt, was noch oft der Fall ist. Wie alt diese befestigte Wasserburg oder Wehranlage sein mag, kann ich nicht sagen. Die Bauweise an den alten Mauerresten und dem Burgfried läßt vermuten, daß der Steinbau etwa um die Jahre 1000 - 1200 errichtet sein mag. Wer weiß indessen, ob nicht früher schon eine ähnliche Befestigung aus Holz in dieser sumpfigen Gegend als Fliehburg - oder auch als alter Herrenhof - bestanden haben mag ? Jedenfalls deutet der Name vielleicht auf den alten Sachsengott Crodo hin, dem der Platz geweiht gewesen sein mag. Crodo-burg wird Crudenburg - - das, ist vielleicht die sprachliche Entwicklung des Ortsnamens. Wie gesagt, - wir wissen es nicht, aber es ist immerhin denkbar. Und die alte Urkunde, auf die sich unser heutiges Jubiläumsfest stützt, spricht schon von einer "uralten" Burg Krudenburg - und einer Schloßfreiheit von 39 Häusern. Es wird uns durch die von Herrn Lehrer Gaecks geschriebene Chronik unseres Ortes sogar noch ein früheres Datum für das erstmalige Auftauchen des Namens Krudenburg in einer Urkunde genannt, und zwar das Jahr 1338, aber es ist nicht klar, wo die von ihm erwähnte Urkunde zu finden wäre. Demgegenüber hat Herr Pfarrer Sander aus Hünxe einige Beiträge zur Geschichte der Kirchengemeinde Hünxe veröffentlicht. Im ersten Heft wird die Urkunde von 1363 wörtlich abgedruckt, die im Hünxer Kirchenarchiv zu finden ist. Nach dem Text ist das Haus Crudenburg von unserem damaligen Landesherrn, dem Grafen Johann II von Cleve einem Herrn Rutgerus von dem Botzelaer als Lehen gegeben worden. Weil kurz danach dieser clevische Graf kinderlos starb, fiel die Grafschaft Cleve an die Grafen von der Mark, die nächsten verwandten des Hauses Cleve. Daher erzählt uns die nächste Lehensurkunde, daß ein Graf Dietrich von der Mark einen Herrn Goswin von Steck 1392 mit dem Hause Crudenburg belehnte. Dieser wird in der Urkunde Ritter und Erbmarschall des Hauses Cleve und Drost des Landes Dinslaken genannt. Er bekam außerdem zu Lehen: Den ''Hoff Drevenack", (also wahrscheinlich Schulte Drevenacks Hof) und "Drawinkel" , also den Hof am Finkel, dazu die Fischerei in der Lippe und die Wassermühle in Krudenburg. Drei Jahre später übergab Dietrich von der Mark dem Herrn Goswin von Steck auch das Gericht zu Krudenburg und Hünxe, eine "accise" genannte Umsatzsteuer von allen Lebensmittel-, Vieh- und Landverkäufen in dieser Gegend, und die "Kirchengiften" genannten Abgaben für die Hünxer Kirche, zu deren Patronatsherren er die Herren von Krudenburg machte, und zwar "von Erffen to Erffen'', also erblich waren damit die Herren von Krudenburg die Herren der Hünxer Kirche, der sie die Pastöre setzten und den Land- und Forstbesitz verwalteten. Dann bekam er auch noch den Hof "An gen Vorst" (Schulte Vorst Hof) in Bruckhausen. Es ist uns eine ganze Liste überliefert, die von diesem Herrn Goswin von Steck aufgestellt wurde, in der etwa 30 alte Bauernhöfe und Bauernnamen aus Drevenack aufgezählt sind, darüber hinaus noch etwa 13 Bauern aus Damm, die alle einmal im Jahre "am Trotzenberg" in der Wirtschaft "Zum halben Mond" an den Kirchenvorstand der Kirche zu Hünxe den Zehnten abliefern mußten. Dabei wurde dann eine Tonne Bier getrunken, die mit drei Scheffel Roggen bezahlt wurde. Wir haben auch eine fast lückenlose Liste sämtlicher Besitzer des Hauses Krudenburg. Ihre Lehensherren waren bis 1609 immer die Herren von Cleve. Einer von diesen, Adolf VI, wurde auf dem Konzil zu Konstanz zum "Herzog von Cleve" ernannt. Nun mußte auch sein Land mächtiger erscheinen, und so ließ er Wesel befestigen und auch Schermbeck mit einer Mauer umgeben, er ließ auch ein Schloß in Schermbeck bauen, das dort heute als "das Amtshaus" bekannt ist. Auch Dinslaken bekam einen neuen Turm. - Die Befestigungen konnte der Landesherr bald gut brauchen, dann der Erzbischof von Köln führte 1437 gegen ihn Krieg. Die Gegend um Hünxe und Crudenburg ist damals von den Cölnischen furchtbar geplündert worden . In der Soester Fehde 1444-49 wiederholte sich aus fast gleichem Grunde und durch dieselben Feinde die Brandschatzung der hiesigen Gegend. Dinslaken und Hiesfeld wurden damals sehr durch Feuer verwüstet. Da lohnten sich solche Zufluchtsplätze wie die hiesige Wasserburg. Die Herrschaft Dinslaken - also auch unsere hier - hat unendlich viel von den Cölnischen Erzbischöfen zu leiden gehabt, daher ist sie auch wohl später so einheitlich zur Reformation übergetreten und bildet gleichsam noch heute einen evangelischen Glaubenswinkel, umspült von dem katholischen Ozean der Rheinlande. Auf unseren Herrn Goswin von Steck folgte zunächst dessen Sohn gleichen Namens, der bis 1470 Herr von Crudenburg war. Nach dessen Tode aber heiratete seine Frau einen Herrn Johann von Holstein-Schauenburg und dieses Haus regierte uns nun bis 1641. Einer von den Schauenburgern ist wahrscheinlich Erzbischof von Köln gewesen. Er hieß Adolf und hat von 1546 - 1605 gelebt. Ich sage dies deshalb, weil viele Krudenburger auf Schloß Burg a.d. Wupper ein großes Wandgemälde bewundert haben, auf welchem dargestellt wird, wie der Erzbischof Hermann von Wied ermordet und als Toter nach Schloß Burg gebracht wird. Der Nachfolger dieses erschlagenen Erzbischofs war der genannte Adolf von Holstein Schauenburg. Und dies wiederum erwähne ich nur deshalb, weil es sich bei der Ermordung des Erzbischofs um die Revolution in der Kirche, um die Einführung des neuen evangelischen Glaubens in unserer Gegend dreht. Wie unser Herr Adolf von Schauenburg zu Glaubensfragen gestanden hat, kann ich nicht sagen, aber sein Nachfolger war der Truchseß von Waldburg auf dem Kölner Bischofsthron. Weil er auch zum evangelischen Glauben neigte, entbrannte 1583 der Truchseßkrieg, der für unsere Gegend den Beginn der Glaubenskämpfe bedeutet, die in Deutschland jedem Schulkind unter dem Namen "Dreißigjähriger Krieg" bekannt sind. Bei und dauerten diese Kämpfe eben nicht nur von 1618-1648, also dreißig Jahre. Nein, leider begann das fast ununterbrochene Kriegsgeschrei für unsere Heimat schon 1583 und setzte sich leider auch nicht nur bis 1648 zum Frieden von Münster und Osnabrück fort, sondern es ging bald weiter bis etwa 1666. Die billige Frage: „Wie lange dauerte der Dreißigjährige Krieg?" kann also ein Niederrheiner mit Recht ganz unerwartet beantworten mit der Angabe: „Bei uns 80 Jahre!“ Die Spanier kamen 1585 mit etwa 6000 Mann Fußvolk und 1200 Reitern bei Orsoy über den Rhein und verpflegten wich lange Zeit in unserer Gegend, da sie auf Wesel marschierten. Das bedeutete bitterste Not für unsere Vorfahren. Bald nach ihnen kam ein zweites, dann noch ein drittes Heer. Und wenn eine Teilfehde zu Ende war, dann war noch lange kein Friede. Dann kamen die entlassenen Landsknechtshaufen aus aller Herren Länder und führten auf ihre eigene Faust Krieg gegen Dörfer und Bauern, weil sie nicht verhungern wollten. Das ist für den ganzen Niederrhein wohl die Geburtszeit der Schützenvereine oder Schützengilden, weil doch nur der Zusammenschluß der Bürger und Bauern solche Marodeure abwehren konnte. Die befestigten Wasserburgen in Krudenburg und Gartrop haben damals oft und oft den hiesigen Menschen und den Pastören der Kirchen mit ihren Altarschätzen und Archiven als Zuflucht gedient. Mitten in dieser wirren Zeit geschah es, daß wir und unsere damalige Schloßherrschaft nicht mehr zu Kleve, sondern zu Brandenburg gehörten. Um 1609 war Herzog Johann Wilhelm von Cleve, dessen Schloß und Denkmal noch heute in Düsseldorf, seiner Residenzstadt, steht, ohne männliche Erben gestorben. Der Kurfürst von Brandenburg war Erbe des hiesigen Landes, weil er seine Frau aus der Familie der Clever Herzöge hatte. (Es war um das Jahr 1572 das Bestreben der, Herzogs Wilhelm von Kleve, in den Augen der Katholiken, vor allem des Herzogs Alba und des Papstes, als ein streng katholischer Herr zu erscheinen, weil er wollte, daß sein Sohn mal Erzbischof von Münster werden sollte. Da schrieb unglücklicherweise seine älteste Tochter, Maria Eleonore an ihre Freundin Maria von. Nassau, welche eine Schwester des reformierten Befreiers der Niederlande Wilhelms von Oranien war, in einem Briefe, daß sie täglich für den Sieg der evangelischen Sache bete. Der Brief kam in die Hände des Katholiken Alba. Das war ein Skandal für Wilhelm von Kleve. Was tun ? Er verheiratete seine ketzerische Schwester an den evangelischen Herzog Albert Friedrich von Preußen. Aus der Ehe ging eine Tochter hervor, die spätere Gemahlin des Kurfürsten Johann Sigismund von Brandenburg. Daher war der Kurfürst von Brandenburg der nächste unter den Erbberechtigten, als Johann Wilhelm von Kleve kinderlos gestorben war.  Dieser Johann Wilhelm war derselbe, der für den Bischofsstuhl in Münster ausersehen war, denn in Kleve sollte sein älterer Bruder nach Vater Wilhelms Tode mal Herzog werden. Aber dieser Bruder starb, und Johann Wilhelm wurde der Regent in Kleve. Weil er selbst schwachsinnige war, regierten für ihn allerlei katholische Räte. Man mag sich ausdenken, was das in unserem Lande hier für evangelische Menschen zu bedeuten hatte. Das reine Evangelium Jesu Christi, das schon 1521 unter Herzog Johann III von Cleve Eingang am Niederrhein gefunden hatte, das während der langen Regierungszeit der folgenden Herzogs Wilhelm (1539-1592) mal gefördert, mal gehemmt worden war, sollte nun wieder gänzlich ausgerottet werden. Weil aber außer dem Kurfürsten von Brandenburg noch andere Fürsten (z.B. der Pfalzgraf Phillipp Ludwig von Pfalz-Neuburg, weil auch er eine Schwester des verstorbenen JohannWilhelm zur Frau hatte) Anspruch auf das clevische Land erhoben, weil ferner der evangelische Brandenburger bei der Union (Schmalkaldischer Bund) und der katholische Neuburger bei der Liga (kath. Fürstenbund) Verbündete suchten, weil weiter der Kaiser selbst am liebsten das clevische Land als verfallenes Lehen wieder eingezogen hätte, darum gab es außer den Glaubensstreitigkeiten noch viel andere Gründe für Unruhe in unseren Landen. Wie schon erwähnt, waren alle Lehensmänner des Clever Herzogs hier im Dinslakener Raum sehr für die evangelische Sache. Und der Herzog selbst hatte auch viel dafür übrig, weil er den Erzbischof von Köln so oft zum Feinde hatte. Aber –aber: Die Katholiken mit dem Kaiser an der Spitze waren damals an der Macht. Wer was werden wollte, mußte sich mit den mächtigen Herren gut halten. Es würde viel zu weit führen, hier die Einzelheiten dieser verzwickten Streitereien zu schildern. Die erbberechtigten von Brandenburg und Pfalz-Neuburg einigten sich in einem Vertrage zu Dortmund 1609. Danach kamen wir zu Brandenburg. Der Kaiser aber erkannte den Vertrag nicht an und erklärte den Kurfürsten von Sachsen zum Herrn der Clever Lande. Weil natürlich die beiden Erben diese Entscheidung nicht anerkannten, wollten auf kaiserlichen Befehl mal wieder die Spanier kommen, um dem Kaiser Gehorsam zu verschaffen. Der Spanier Spinola lagerte schon bei Wesel, der reformierte Moritz von Nassau bei Rees. Aber es ging noch eben gut: Die Soldaten aus beiden Lagern sollen sich sogar recht gut verstanden und sich oft besucht haben. Aber die armen Bauern hatten unter den Landsknechtshaufen auf jeden Fall zu leiden. Das Land verarmte. Darum vertrugen sich der Brandenburger und der Neuburger in einem neuen Vertrage 1614 zu Xanten. Beide Heerhaufen sollten das Land verlassen, - und es sollte in zwei Bezirke (Kleve, Mark und Ravensberg einerseits, Jülich und Berg andererseits) geteilt und gemeinsam verwaltet werden Die Heerhaufen wichen aber nicht und das Land hatte weiterhin darunter zu leiden. Erst 1666 kam der endgültige Teilungsvertrag zustande, - und damit erst hörte also für unser Land die ewige Kriegsdrohung auf. (1583 - 1666 = etwa 80 Jahre.) Die Burg Krudenburg hat wohl noch über 100 Jahre länger gestanden. Es ist, wie gesagt, ein vollständiges Register sämtlicher Herren vorhanden. Nach den Schauenburgern kam 1641 die Burg an die Herren von Vehlen, und zwar stammt die Belehnungsurkunde vom Großen Kurfürsten, der ja nun unser Landesherr war. Die Belehnung Alexanders von Vehlen erfolgte, weil er die Witwe des letzten Herrn von Holstein Schauenburg geheiratet hatte. Nachdem drei Herren aus dem Hause  Vehlen in Krudenburg Besitzer waren, heiratete die Witwe des letzten einen Herrn Johann Sigismund Wilhelm Freiherrn von Heiden. Er war in Wesel General und besaß Crudenburg und Schwarzenstein. Von ihm ist uns die Geschichte um den Hünxer Pastoren- oder Kirchenstreit überliefert, welche im letzten Heimatkalender des Kreises Rees zu lesen ist Er regierte hier von 1683 - 1724. Sein Sohn Friedrich Adolf von Heyden wurde 1724 schon vom König von Preußen (Friedrich Wilhelm I) belehnt. Dessen Tochter nun, Charlotte Wilhelmine von Heyden, heiratete dreimal und starb 1782. Zunächst heiratete sie einen Freiherrn von Grävenitz. Nach dessen Tode heiratete sie einen Herrn Johann Sigismund Freiherrn von trünckede und gebar ihm 7 Kinder. Nach dem Tode des Herrn von Strünckede heiratete .sie den reformierten Prediger Vietor, der wegen seiner bürgerlichen Herkunft - obwohl zum "Kriegsrat" ernannt - in Standessachen nicht unterschriftberechtigt war. Damals mußte Gartrop sich wohl erstmalig um Krudenburg kümmern. Zwar kam ein Sohn des Freiherrn von Strünckede 1783 - nach dem Tode Vietors - wieder in Krudenburg zur Herrschaft, aber ein Teil des Schlosses war bereits abgebrannt und alles war sehr baufällig. Der Besitzer ging bankrott. 1789 waren viele Ländereien schon verkauft. Ein Peter Benninghoff aus Hünxe kaufte manches an. 1797 erfolgte der vollständige Verkauf an Gartrop. 1826 stellte Gartrop einen großen Verkauf an, und Albert Benninghoff kaufte den ganzen Schloßplatz bis zum Zingelgraben und auch die Schloßruine. Sein Sohn, wieder Albert Benninghoff geheißen, ließ die Trümmer der Schloßruine an die Lippeufer fahren. Auf ihn folgte um etwa 1890 als Gutsbesitzer Eduard Benninghoff, der bei einem Jagdunfall ums Leben kam. Sein Bruder, Alfred Benninghoff, der vorher in Bruckhausen gewohnt hatte, übernahm das Gut bis in die Zeit um 1920. Dann kam Richard Benninghoff, dessen Sohn, der eigentlich Bergwerksdirektor in Schlesien gewesen war hierher. Die meisten werden ihn als den Kreisjägermeister im Kreise Rees kennen. Nach seinem Tode erbte Reinhard Benninghoff-Lühl den Hof und fast alle zum Gute gehörenden Ländereien (1941). Der Platz des Gutshauses wurde von letzterem im Jahre 1959 an den jetzigen Besitzer verkauft, während Ländereien und Waldungen noch heute Herr Dr. Reinhard Benninghoff- Lühl gehören. Das vor Ihnen sichtbare Restaurant wurde um 1959-60 eingerichtet. Vorher war im Ausgang des letzten Weltkrieges das zweistöckige Gutshaus abgebrannt. Der Burgfried hat auch dieses Feuer überdauert. Von Herrn Benninghoff wurde das Gutshaus in seiner heutigen einstöckigen Form kurz nach dem Kriege wieder aufgebaut, aber die ebenfalls baufälligen Wirtschaftsgebäude konnte er nicht wiederherstellen. So ließ er eine in der nordwestlichen Ecke des Gutshofes gelegene Scheune abreißen. Die nach Norden liegende Mauer dieser Scheune war noch ein Teil der alten Schloßkapelle gewesen. Davon ist also nun auch fast jede Spur vergangen. Übrigens hatten die Krudenburger Bürger bei dem Verkauf durch Gartrop 1826 Gelegenheit, ihreWohnhütten und etwas Gartenland zum Eigentum zu erwerben. Was aber heute an Häusern in Krudenburg sichtbar ist, sind nicht mehr die ehemaligen Hütten, denn 1844 brannte der Ort Krudenburg bis auf ganz wenige Häuser nieder. In den Jahren danach wurde der Ort neu aufgebaut. Statt der alten Fachwerkhäuser sind nun vielfach bessere Steinhäuser entstanden, aber das Ende des zweiten Weltkrieges hat auch von diesen noch manche vernichtet.

 

 

 

(3. Redner:Heinrich Boveland)

Am “Schießberg”

 

Verehrte Festgäste, liebe Krudenburger !

Vielleicht wird sich mancher fragen, warum wir an dieser Stelle halten, wo doch kaum etwas zu sehen sein dürfte, was erwähnens- oder erklärenswert zu sein scheint. – Nun, zunächst einmal übersieht man von hier recht gut das weite Tal der Lippe, wie es sich hier zwischen der vor uns aufsteigenden Niederterrasse und den weit südlich erkennbaren Erhöhungen der Hünxer Ländereien auf fast gleicher Höhe der hiesigen Niederterrasse dahinzieht. Man erkennt gut, daß die Krudenburg– im Gegensatz zu anderen Lippegemeinden, wie etwa Hünxe, Drevenack, Damm oder Schermbeck und Bucholt-Welmen, - wirklich im tiefen Lippetal angelegt wurde. Und wenn Sie Ihren Blick von Osten her an dieser Niederterrasse, die wir Krudenburger “den Schießberg” und weiter nach Südwesten zu “den Böhmenberg” nennen, entlanggleiten lassen, fällt Ihnen gewiß eine eigentümlich langgestreckte Mulde hier links neben der Straße - nach Südwesten verlaufend und drüben am Straßenknick die Straße schneidend und weiter nach Westen führend – auf. Was Sie da sehen, ist tatsächlich ein alter Lippelauf, der noch im Mittelalter der zweite Lippelauf war, der die Krudenburg zu einer Insel in der Lippe machte. Wer im Mittelalter von Drevenack nach Krudenburg auf dieser Straße wanderte, mußte an jenem Straßenknie über eine Brücke gehen. Dieser nördlich von Krudenburg fließende Lippearm lieferte auch den Wasserzufluß vom Zingelgraben, dessen Wasser etwa am heutigen Krudenburger Ehrenmal wieder zur Lippe abfloß. Der Zufluß ist nach Verlandung dieses Lippearmes und nach Errichtung des Lippedeiches sozusagen verschwunden. Vielleicht ist der “Diepe Weg”, durch den wir eben hierherkamen, der Rest der ehemaligen Verbindung dieses nördlichen Lippearmes mit dem Zingelgraben. Der Abfluß des Zingelgrabens dagegen ist bis heute erhalten, weil er noch heute nach jedem Hochwasser dafür zu sorgen hat, daß die Wiesen am Zingelgraben nicht wochenlang unter Wassser stehen. Die ehemalige Insellage des Platzes hat sicher bei der Anlage der Burg Krudenburg als Zufluchts- und Verteidigungsplatz eine Rolle gespielt. – Die Lippe hat übrigens ganz früher sicherlich oft ihren Lauf gewechselt innerhalb der hier zu überrschauenden Niederung, in der Krudenburg liegt. Wenigstens in vormittelalterlichen Zeit. Das merken zu ihrem Leidwesen viele Krudenburger, die gerne bei ihrem Hause einen Brunnen anlegen wollen. - - und dann leider sehr oft in einigen Metern Tiefe auf uralten Schlamm stoßen, der es ihnen unmöglich macht, an sauberes Trinkwasser zu kommen.

Der Berg hier mit der eigentümlichen Mulde davor, in der nun dieser Neubau errichtet wird, hat den Namen “Schießberg”, weil hier die Krudenburger Schützen – wer weiß, wie lange – ihr Scheibenschießen bei Schützenfesten veranstalteten. – Wahrscheinlich entstand die Mulde vor dem Berg durch Abfahren der Sandmassen zur Errichtung des Lippedeiches, den wir von hier aus wegen des höheren Straßendammes der neuen Straße nicht sehen. Ich meine den alten Deich, der früher das Dorf mehr schlecht als recht gegen die Stromgewalt der Lippe zu Hochwasserzeiten schützte. Er brach 1880 an mehreren Stellen hier oben so, daß die Lippe fast das eben beschriebene hiesige alte Strombett wieder durchfloß. - Der Sand zum Schließen der damaligen Bruchstellen im Damm soll aus dem gemeindeigenen Landstück hier links von uns genommen sein. Darum ist auch wohl dieses Stück tiefer gelegen und nicht wieder zuu Ackerland verwandelt worden.

Ergänzend zu diesem Orte muß noch hinsichtlich des Transformators gesagt werden: Seit 1912/13 haben wir in Krudenburg elektrisches Licht. Der Transformator steht dort oben seit dieser Zeit.

Auch der in Hünxe wurde damals gebaut. 1913 geschah an dem Transformator in Hünxe ein schlimmes Unglück, - bei dem durch zu frühes Einschalten des Stromes ein Mann dort um´s Leben kam.

Das Gelände mit den Eichbäumen rechts von dem vor uns liegenden Hause heißt nicht nur “der Judenfriedhof”, sondern es ist wirklich ein alter Friedhof für jüdische Familien gewesen. In unserem Hause lebten vor der Jahrhundertwende zwei jüdische Familien. Die Namen waren Wolff und Aaron (Anmerkung: Nicht richtig! - Zu den Namen und zu den jüdischen Familien überhaupt siehe die Anmerkung am Schluß dieser Rede. – K.v.M.). Sie müssen von gewissem Anshen und von Einfluß in unserem Dorf gewesen sein, denn es gab einen öffentlichen Weg - oder doch einen solchen Pfad – durch die Lippewiesen über Damm, der den Juden als “Kirchweg” zu ihrer Synagoge nach Schermbeck diente. Der Weg mag natürlich auch noch anderen Interessenten gedient haben. – Jedenfalls mußte die Gemeine Krudenburg bis nach dem Ersten Weltkrieg immer noch ein Brückchen in Ordnung halten, das auf Krudenburger Gebiet in den Wiesen über einen Graben führte. Vor kurzem erst hat dieser Weg seinen öffentlichen Charakter verloren, obwohl schon 1936 seine Einziehung beantragt war. – Übrigens sind auch auf dieser alten jüdischen Grabstätte in den März-Unruhen 1920 hier 7 Rotfrontkämpfer begraben worden, die in Drevenack – nahe der Kreuzung – ums Leben gekommen waren. Am 1. Mai der Jahre zwischen 1921 und 1933 zogen oft auch starke Gruppen des “Rotfrontkämpferbundes” von dem Massengrab am südlichen Lippeufer durch unser Dorf hierher, um ihre Gefallenen Kameraden durch Kranzniederlegung zu ehren. Wie mein Vorredner am Lippeufer schon sagte, ließ sich zu solcher Zeit kein Krudenburger auf der Straße sehen.

Übrigens verläuft auch hier etwa die Grenze der Gemeinde Krudenburg gegen die Gemeinde Drevenack. Auf dem Grenzweg werden wir jetzt gleich in Richtung Schwarzenstein ein kleines Wegstück gehen, weil dort die alte Verbindungsstraße Krudenburg-Butendiek-Wesel oder auch Schwarzenstein-Finkel-Wesel erreicht wird. Einige Krudenburger Familien, die durch den Ausgang des Zweiten Weltkrieges in Krudenburg obdachlos wurden, haben sich nun hier auf Drevenacker Gebiet angesiedelt. Wo früher nur die Schranzenhaufen und die “Kullen”, also Kartoffel- und Rübenmieten der Krudenburger lagen, wurde zunächst nach 1936 ein Schießstand für den Schützenverein, und 10 Jahre später zwei Wohnhäuser für Krudenburger erbaut. Das Gelände war immer Eigentum der Gemeinde Krudenburg, lag und liegt aber auf Drevenacker Gebiet.

Erwähnenswert scheint hier am Schießberg auch der alte Krudenburger Brauch, daß die Schuljugend alljährlich zu Ostern etwa auf der Stelle des dortigen Neubaues ein riesiges Osterfeuer errichtete, welches am Abend des ersten Ostertages im Beisein fast aller Dorfbewohner abgebrannt wurde. Alle Krudenburger hatten auch dazu beigetragen, daß das Feuer recht groß wurde, denn alljährlich am Karsamstag zog die Schuljugend singend und für ihr Osterfeuer bettelnd von Haus zu Haus. Sie sangen dabei ein originelles, nur in Krudenburg bekanntes Lied in plattdeutscher Mundart:

Frau, gäw ouns en Büsken Holt,

unse Poaßfüer is so kolt,

unse Poaßfüer is so windig,

gäw ouns doch en Büsken off twintig!

Häs de wat, dann hal wat;

andere Joahr gäw et weher wat!

Loat ouns niet so lang mehr stoahn,

wej willen noch en Hüsken wijer goahn!

Enn Büsken minder off mehr,

wej brannen´t doch to Gottes Ehr!

Amen!

Wer weiß, wie lange Krudenburger Jugend dieses Lied schon gesungen hat ? Wer weiß, wer der Dichter gewesen ist ? - - Das Osterfeuer war jedenfalls durch Jahrzehnte ein großes festliches Ereignis in unserem Dorf, für das die Jugend schon ab Januar oder Februar eifrigste Vorarbeit leistete. Es gab soviel Heideflächen mit “Broahm”, das heißt Ginster, - soviel Krüppelholz und Topfholz zu holen, daß die Jungen wochenlang mit “Hieb” oder Beil in die Heide zogen, um sich solches Holz zu holen. Die Geschicktesten mußten dann aus dem Ginster einen großen, zylindrischen Bau errichten, - so, wie die Beuern oft ihr Stroh auf freiem Feld aufschichten. Innen hinein kamen dann Wurzelknorren, alte Stämme und sperriges Kleinholz – und endlich an dem erwähnten Karsamstag die freiwilligen Holzspenden der Krudenburger, altes Bauholz oder alte Gartenbäume und Sträucher, die man ausgerodet hatte. – An diesen Karsamstagen halfen bisweilen auch die bereits schulentlassenen Jungen eifrig mit. – Jahr für Jahr sammelt sich um das Osterfeuer die ganze Gemeinde – und vor allem die Junggesellen und jungen Mädchen. Diese Junggesellenvereinigung, “dat Geloaw” genannt, brachte im übrigen zu Neujahr oder bei Verlöbnissen und Hochzeiten durch Böllerschüsse ihre Gratulation zum Ausdruck. Hier aber wirkten sie beim Osterfeuer in geschlossenen Gruppen, Mädchen hier und Jungen dort, durch ihr Liedersingen mit. Natürlich wurden sie von allen sangeskundigen Gemeindegliedern unterstützt. – Rings im Kreise der jenseitigen Berge leuchteten die Osterfeuer der Gartroper, Hünxer und Bucholt- Welmer herüber. Gleiches Denken, gleiches Fühlen, gleiches Tun - bei den Menschen gleicher Art – hüben und drüben der Lippe. – Auch dieser alte Brauch geht langsam seinem Ende entgegen. Es fehlt an Holz, es fehlt an Arbeitskräften und es fehlt wohl auch an Begeisterungsfähigkeit und Einsatzfreudigkeit. Man mag das bedauern – oder auch nicht, - - die Zeiten ändern sich und der Mensch ändert sich mit ihnen.

(Anmerkung: Korrektur zu den Namen und zu den jüdischen Familien überhaupt von K.v.M .jr.: Die beiden in dere Rede genannten Familien“Familien Wolf und Aaron” heißen vielmehr richtig “Familie Seligmann Wolf” und “Familie Aaron Wolf”. Aaron ist also der Vorname des Familienvorstandes. Man nannte auch den Verkäufer von “Bönnekenshaus” (Haus Nr.1, siehe in “45 Hausnummern”) nur “Seligmann”. Außerdem gab es noch die jüdischen Familien “van Gelder” und “Katzenstein” in Krudenburg. Zu diesen allen ist in der Schulchronik zu lesen, daß 1879 und 1881 und 1883 folgende Kinder aus jüdischen Familien die hiesige Volksschule besuchten:

Am 04. Sept. 1884 heißt es David van Geldern aus Schermbeck wiedergekommen.

Am 13. Sept. 1884 heißt es Sara van Geldern entlassen.

Im Jahre 1885 heißt es Dagobert Wolf aufgenommen.

Am 01. Nov. 1887 heißt es Es ziehen Wolf nach Wesel.

Am 15. Dez 1888 heißt es Es ziehen die van Geldern nach Schermbeck.

Am 18. Juli 1892 heißt es Josef Katzenstein aus Flieden bei Fulda aufgenommen.

Am 17. März 1893 heißt es derselbe entlassen

(5. Redner: Kurt v.Mallinckrodt jr..)

 

 

 

 

 

Am Poll

 

Über die vor Ihnen liegende Niederung mit dem kleinen Teich hier im Vordergrund, den wir hier "den Hafen" nennen, ist gelegentlich eines Rückblicks auf 600 Jahre Krudenburg bestimmt manches zu sagen:

In alten Urkunden wird zwar fast nur von der Wassermühle gesprochen, deren Rad sich im Strom der Lippe schwerfällig dreht, auch wohl mal von der Fischereigerechtsame in der Lippe von Schermbeck bis Wesel, aber von der Existenz eines „Hafens“ ist nicht die Rede. Es mag aber wohl daran liegen, daß unser Dorfchronist, der Herr Lehrer Gaecks, von Urkunden nach der Zerstörung des Schlosses, also nach 1800 kaum einige überliefert hat. Er selbst kam erst 1876 hierher. Ferner hat er wohl hauptsächlich das Kirchenarchiv der Kirche zu Hünxe benutzt, denn merkwürdigerweise erwähnt er in seiner Chronik nicht die Tatsache, daß ein Drevenacker Pastor G.W. Hencke hier an dieser Krudenburger Wassermühle ums Leben kam. Es war am 6. April 1717 als der geistliche Herr mit einem Sack Korn, den er zur Mühle bringen wollte, vom Steg herabglitt und ertrank. Diese Überlieferung verdanken wir Herrn Pfarrer Althen aus Drevenack. Die Mühle war gewiß nicht nur zum Mahlen des in Krudenburg gewachsenen Getreides gedacht, vielmehr war die Berechtigung, Getreide zu mahlen, auch auf die zum Hause Krudenburg gehörigen Höfe der Umgebung ausgedehnt. (Wenngleich es beim Ausgang des achtzehnten Jahrhunderts gewiß schon Windmühlen gegeben hat). Die beiden vor Ihnen stehenden. Pollschuppen gehörten als Lagerräume zur Mühle und zeugen auch davon, daß hier ehemals ein beachtlicher Betrieb geherrscht haben muß. Sie sind erhalten geblieben, weil sie von der jeweiligen Strombauverwaltung der Lippe übernommen worden und instand gehalten worden sind. Wie hier an dieser Stelle eine Wassermühle in Betrieb gehalten werden konnte, wird nur verständlich, wenn Sie bedenken, daß der heutige Lippestrom dort drüben durch ein Wehr aufgestaut und die Wassermassen durch ein hierher zielendes Strombett durch diesen Damm hindurch auf das Mühlrad geleitet wurden. Als unterschlächtiges Mühlrad mit breiten, in den Strom eintauchenden Schaufeln, drehte es sich nur träge und langsam, aber bei genügender Breite der Schaufeln doch mit großer Kraft im Strom des hierher geleiteten Flusses. Man konnte es aber nicht anders machen, denn einerseits wäre wohl das Gefälle für einen Hochstau mit ins Mühlrad herabfallendem Wasser wegen des geringen Höhenunterschiedes der natürlichen Landschaft nur mit kostspieligen Deichanlagen möglich gewesen, die wahrscheinlich beim nächsten Hochwasser doch zerstört worden wären, und andererseits vor allen Dingen durfte man durch die Mühle und den "Mühlenschlag" im alten Lippebett doch nicht die Schiffahrt auf dem Strom unmöglich machen. Zu den Zeiten, wenn Schiffe durchfahren wollten, mußte das ganze Mühlrad aus der Fahrrinne verschwinden, also ausgefahren werden. Darum war das große Mühlrad auf Kähnen gelagert und seine Drehbewegung wurde am südwestlichen Achsenende durch Zahnradoder Kettenübertragung dem eigentlichen Mahlwerk und Getriebe der Mühle übertragen, die hier an der Westseite des Durchflusses auf festen Pfählen aufgebaut war.

Diese Pfähle sind vor etwa 10-13 Jahren allen Krudenburg gern sichtbar geworden, weil das Hochwasser von 1946 sie freigelegt hatte. Also, dort drüben vor dem Schulhause, etwa an der Stelle, wo wir heute den Eingang unseres Festzeltes haben, stand eine große Linde. Davor gabelte sich die Lippe und floß zum Teil durch den Tiergarten auf diese Stelle zu. Sie drehte im allgemeinen das hier auf Kähnen ausschwenkbar montierte große Mühlrad und trug auch bisweilen die "Aaken", also die großen Treidelkähne, die stromaufwärts von Pferden gezogen wurden, während sie bei der Fahrt zu Tal (also stromabwärts) durch eigene Hilfssegel steuerbar vom Strom getrieben wurden. Die mit unzähligen Sand- und Kiesbänken und dazu mit ebensovielen uralten, versteinerten Eichbäumen durchsetzte Lippe machte die Arbeit der Schiffer recht schwierig. Fahrwasserkundige Leute aus Krudenburg halfen als Lotsen den fremden Schiffern, durch die unsichere Fahrbahn den Weg für ihre Aaken zu finden. So verdiente sich mancher Krudenburger als Schiffer seinen Lohn. Oft wachten die Schiffer hier "im Hafen" ihre Aaken fest, nachdem sie die Fahrt zu Berge von Wesel bis hier hinter sich hatten und doch auf die Ausfahrt der Wassermühle warten mußten. Beim Wirt "Piethahn" (sicher ist das nicht, daß dieser Wirt so hieß !) im alten Hause am Hafen, das Ihnen teilweise als "Schniershaus" aus dem Jahre 1601 bekannt ist, konnte nicht nur Bier und Wacholderwasser, sondern sogar auch Wein gekauft werden.

Ja, als das alte Haus noch stand, und erst mal, als vor dem Einschlag von 1911/12 die herrlich großen Pappeln den Hafen und das mittelalterliche Dorfbild umkränzten, - denn das dem erwähnten „Schniershaus“ gegenüberstehende "Killmannshaus" mag auch so alt wie ersteres gewesen sein - da war das hier eine idyllische Ecke. Zur Sommer- und Herbstzeit waren aus der Düsseldorfer Malerakademie alljährlich mehrere Maler hier. Nun ist diese stimmungsvolle Idylle unwiederbringlich dahin, - besonders nachdem am Ausgang des letzten Krieges fast der gesamte westliche Dorfausgang in ein Ruinenfeld verwandelt war. 9 Häuser wurden hier ausradiert, teils von Bomben, die auch den Polldeich hier stark zerfetzten, teils durch Artilleriebeschuß (In dem damals noch zweistöckig aufragenden schönen Gutshaus der Familie Benninghoff war nämlich kurz vor dem Sonnabend des Dorfunterganges noch ein leitender General der deutschen Truppen einquartiert gewesen. Dar um traf der Angriff der Feinde unser Dorf so stark.13 Zivilisten, Frauen und Kinder kamen dabei ums Leben.). Und im Frühjahr 1946 riß dann das große Hochwasser diesen Deich vollends weg.

Etwa 12 Meter tief hat der Strom an dieser Stelle die Sand- und Schlamm-Massen ausgespült und drüben in Wiesen und Gärten verfrachtet. Es war eine schwere und langwierige Arbeit, den Sand nachher wieder abzufahren. Sie wurde indessen im Interesse der Landbesitzer von diesen sofort in Angriff genommen und auch geschafft.

Anders sah es mit der Wiederherstellung, des hiesigen Deiches und mit der Beseitigung der Trümmermassen am Dorfausgang aus. Die Freilegung der Dorfstraße selbst hatten die Krudenburger zwar auch sofort nach Beendigung der Feindseligkeiten in Angriff genommen, aber viele Trümmer lagen noch 1950/51 umher, und das erwähnte tiefe Loch hier machte den Zugang zu dem schönen Pollwäldchen fast unmöglich. Da wurden die Männer des Dorfes, die ihren Schützenverein 1950 wieder ins Leben rufen wollten, dazu überredet, den Sinn des Wortes "Schütze" so zu verstehen, daß ein echter Schütze bereit sein müsse, in jeglicher Weise für den Schutz der Heimat zu wirken. Hier also sei eine Aufgabe, die uns kein anderer abnehmen würde: Die Trümmer am Dorfausgang mit Sand und Erdmassen zusammen wurden in wirklich jahrelanger und zäher Arbeit in dieses ausgehöhlte Gebiet gebracht und der Polldamm wiederhergestellt. Darauf feierte man dann in einem kleinen Zelt 1951 ohne viele fremde Gäste das erste kleine Fest der Schützen. Man arbeitete darauf noch weiter und konnte 1952 im einigermaßen aufgeräumten Dorf das erste richtige Schützenfest nach dem Kriege feiern.

Weil wir nun aber mal hier vor dem Anblick des Polls und der Lippe stehen, möchte ich noch eine andere geschichtliche Veränderung erwähnen, die mit unserem Heimatfluß und mit unserem Leben hier in den letzten Jahrzehnten vor sich gegangen ist. Es war am Ufer dieses Wäldchens immer eine herrliche Badestelle gelegen, an der sich ;seit etwa 1910 oder 1911, also seitdem das Baden auch bei der erwachsenen Dorfbevölkerung nach und nach üblich wurde, Krudenburger und Bewohner der Nachbarschaft in heißen Sommermonaten fast gefahrlos und fröhlich tummeln konnten. Sauberes Wasser, fester und weißer Sandboden an Ufer und im Wasser, ganz allmählich zum Südufer hin zunehmende Tiefe des Badewassers von 1/2 m bis zu 2 m, ebenso eine nur nach drüben hin anwachsende Strömung, das alles ließ hier eine gänzlich ungekünstelte natürliche Badestelle entstehen, wie sie schöner und idyllischer nicht gedacht werden kann. - Das hat sich leider gänzlich gewandelt. Die Schulchronik berichtet von einem gewaltigen Fischhsterben in der Lippe schon im Jahre 1908, weil bei einer chemischen Fabrik bei Hamm an einem Klärteich ein Damm gebrochen, war und Millionen vor Fischen vernichtet wurden. Aber das war nur ein Vorgeschmack von dem, was uns die wachsende Industrialisierung noch zu bescheren hatte. Die gewaltigen Chemischen Werke bei Marl-Hüls und andere lieferten im Laufe des zweiter Weltkrieges dermaßen viel Dreckund Giftstoffe in die Lippe, daß man sie heute beinahe als einen Schmutzkanal bezeichnen kann.

Niemand kann sich heute noch den Fischreichtum der Lippe von früher vorstellen und niemand kann und mag in der Brühe baden. Die Menschenmassen, die noch 1930 aus dem Industriegebiet fast regelmäßig zur Badezeit die Lippeufer belagerten, wichen allmählich an die Ufer des Lippeseitenkanals zurück, weil das gewiß nicht saubere Kanalwasser besser als das der Lippe war.

Das bereits erwähnte große Hochwasser von 1946 spülte eine dicke schwarze Schmutzkruste überallhin. Sie war an allen Ufern sogar an den Wänden der überschwemmten Zimmer Krudenburger Häuser zu finden und von derart fester und fettiger Beschaffenheit, daß einige Leute ihre Verwendbarkeit als Schuhputzmittel ausprobierten. Aber sogar dem toten Leder tat dieser schwarze Schmier nicht gut ! Es läßt sich leicht denken, daß er auch Feldern und Wiesen am Lippestrand nicht gedient hat. Er sitzt teilweise noch heute auf dem Grunde und an Pflanzenstengeln des Lippeufers, so daß man auch an Stellen und zu Zeiten, wo das Lippewasser heute wieder klarer zu sein scheint, nicht baden kann.. Man wühlt den Schlamm auf und bemerkt mit Schrecken, daß man schmutziger aus dem Wasser herauskommt, in dem man sich baden wollte, als man hineingegangen ist. Das Wasser der Lippe hat immer etwas salzig und brakig geschmeckt, aber wer heute beim Baden versehentlich Lippewasser in den Mund bekommt, wird sich schütteln vor Ekel. Zeitweise ist auch der Geruch der Wassermassen recht unangenehm.

Dafür ist durch den großen Wasserbedarf der Industrie in den letzten Jahrzehnten ein weiterer Mißstand für uns Krudenburger auffällig in Erscheinung getreten: Es gibt nicht nur Hochwassernot, ,sondern auch Niedrigwassernot in Krudenburg. Fast sämtliche Krudenburger haben nach und nach ihre Brunnen tiefer machen müssen, weil sie allmählich trocken. fielen. Weil aber der Untergrund unseres Dorfes vielfach in. verschiedener Tiefe sandig, kiesig oder auch schlammig ist, so erlebten manche Leute, daß ihr alter treuer gemauerter Hausbrunnen nicht mehr zur Trinkwasserlieferung wiederhergestellt werden konnte. Bei Vertiefungsbemühungen erreichte man höchstens, daß eine stinkende Brühe zutage kam, die allenfalls als Putzwasser brauchbar war. Da es auch an anderer Stelle um ihr Grundstück herum nicht möglich war, an brauchbares Trinkwasser zu kommen,  mußten manche Krudenburger jahrelang jeden Tropfen Trinkwasser vom Nachbarn eimerweise

herbeischleppen, - und an Waschtagen war es oft recht mühsam, das viele Wasser zu beschaffen.

Nun, inzwischen sind statt der Brunnen Rammspitzen in die Erde getrieben, an den verschiedensten Stellen ums Haus herum, bis man brauchbares Wasser fand, elektrische Pumpen liefern das Wasser in die Hausleitungen und die Krudenburger haben meist ihr Badezimmer im Hause. Ein Freibad gibt es freilich nun. nur in weiterer Entfernung, denn das eben erwähnte Baden im Kanal wird wegen der zunehmenden Ölverschmutzung und der Ansteckungsgefahr auch erlahmen. Bis Vörde oder Hiesfeld muß man schon fahren, wenn man baden will, und all diese Badeanstalten reichen in heißen Sommern natürlich nicht aus. Kein Wunder, daß es heutzutage hier schon "Kickfrösche" gibt die nicht schwimmen können.

Schließlich bringen mich diese Gedanken um unsere Wassersorgen noch auf einen Hinweis. in die zukünftige Entwicklung der hiesigen Landschaft: Da sowohl an die Anlage einer Wasserleitung für Krudenburg und Drevenack gedacht ist, als auch an eine Abwasserbeseitigung oder Kanalisationsanlage, so ist schon mal geplant gewesen, in der vor uns liegenden Niederung eine große Kläranlage zu bauen. Das würde diese nun immerhin noch schöne Landschaft gewiß nicht vorteilhaft umgestalten. Ferner will die Strombauverwaltung hier auf dem Platze der beiden

Pollschuppen einen großen Bauhof einrichten. Es hat sich in 600 Jahren viel geändert, aber in Zukunft.......

(6. Redner: Herr Nesbach) 

Am Ehrenmal

 

(Anmerkung: Herr Nesbach hatte diesen Brief von Kurt von Mallincrodt sen. als Unterlage für seine Rede.)

Drevenack, den 23. Mai 1963

Lieber Herr Nesbach !

Zunächst danke ich Ihnen recht kürzlich für Ihre grundsätzliche und sofort geäußerte Bereitschaft, uns an 23. Juni bei unseren Dorffest zu helfen. Einen Monat haben Sie also noch Zeit für die Präparation ! Und dabei wird es wohl so arg viel nicht zu präparieren geben, denn es reden an dem Tage auf den Umgang durch die Dorfgemarkung etwa 6 Redner an verschiedenen Plätzen, wo es etwas Erinnernswertes aus der Geschichte Krudenburgs zu erzählen. gibt.

1. An der Lippe über den Flußübergang und seine Geschichte.

2. Am Straßendamm über das Haus oder das alte Schloß Krudenburg.

 

3. Am Schießberg über die ursprüngliche Insellage des Ortes, alte Lippeläufe und Kolke, Judenfriedhof und Schützenschießplatz sowohl wie über 'Verbindung Krudenburg Schwarzenstein.

4. An der Bäckerei Scholten über neue Bebauungspläne und künftige Entwicklung den Dorfbildes.

5. Auf den Poll über Hafen und Wassermühle, Lippeschiffahrt und neuzeitlicher Verschmutzung der Lippe und Veränderungen des ehemals idyllischen Dorf- und Pollbildes.

6. Am Ehrenmal über die Not vieler Kriegszeiten insbesondere der letzten 100 Jahre. Es ist daher ganz klar, daß alle Aussprachen nur kurz (etwa 10 Minuten) und auf die wesentlichsten Tatsachen beschränkt bleiben müssen. Als Unterlagen für Ihre am Ehrenmal zu äußernden Gedanken gebe ich Ihnen als älteste Erinnerung an Kriegsteilnehmer aus der Krudenburger Bevölkerung einen kleinen Ausschnitt aus der hiesigen. Schulchronik vom 2.9.1895. Lehrer Gaecks schildert da den Verlauf der damaligen Sedanfeier hier im Dorf. Es sind da wohl wirklich alle Veteranen aufgeführt, die Krudenburg zu verzeichnen hatte.

Als dann kündet der Stein, vor den Sie reden werden, die Namen von 8 Gefallenen, die als Soldaten aus Krudenburg in den ersten Weltkrieg gezogen sind. Eine Liste aller Krudenburger Kriegsteilnehmer besitze ich leider nicht. Sicherlich aber sind nicht ganz viele Männer zwischen 18 und 50 Jahren daheimgeblieben. Im Zweiten Weltkrieg erhöhte sich denn die Zahl der Gefallenen auf 18 Krudenburger Soldaten. Hinzu kamen 13 Frauen und Kinder, die hier uns Leben kamen.

Hinzu kam ferner die Zerstörung den Dorfes, insbesondere an seinem westlichen Ausgange, wo das Denkmal steht. Wenn von insgesamt 40 Häusern eines Dorfes mit einsen Schlag 11 vernichtet werden, dann hat Leid und Not wohl fast die Ausmaße erreicht, die unser Dorf sonst nur aus ganz alter Zeit kannte, als von Truchseßkrieg 1584 anfangend bin zur endlichen Beilegung des Clevischen Erbfolgestreiten (1666) durch 80 Jahre hindurch das Kriegsgeschrei fast ununterbrochen unseren Dorfe den Frieden geraubt hatte. Auch danach kam der Ort und die Gegend noch nicht zum reckten Frieden, denn Franzosen und Holländer und auch die Truppen des Großen Kurfürsten rumorten um die Festung Wesel. In Siebenjährigen Krieg bekam die Landschaft auch ihren Teil ab, und anschließend spülten die Wogen der Französischen Revolution, insbesondere die Revolutionsheere des stolzes Napoleon, über unsere Gegend hier. Nicht nur die Heerstraße Wesel- Münster-Warburg-Kassel kündet noch heute vom Regiment strenger fremder Herren, um 1910 erinnerten sich noch alte Dorfbewohner an die Erzählungen ihrer Großeltern vom "Kosakenwinter 1813": „Die Franzosen als Feinde waren uns lieber, als die Kosaken als Freunde!" haben alte Leute gesagt. Es müssen rauhe Gesellen gewesen sein, diese Kosaken, die sich ein Loch in das Eis den Hafens schlugen, um darin zu baden.

An der Sieges- und Dankfeier an der Friedenseiche in Obrighoven, wo das Lied des Drevenacker Pastors Nonne "Flamme empor" erschallte, haben auch die Krudenburger, wie alle Leute der Umgebung, gerne teilgenommen, wenngleich davon nicht ausdrücklich berichtet wird. Wie oft mögen dient Leute ans tiefsten Herzen geschworen haben: "Nie wieder Krieg !'' Möge doch endlich einmal wahr werden, daß der Schwur gehalten wird ! Als in Jahre 1923 der erste Gedenkstein an dieser Stelle geweiht wurde, hielt Herr Pfarrer Althen aus Dreveack die Weiherede. Als man 1961 das Denkmal erweiterte, sprach Herr Pfarrer Nordmeyer aus Drevenack. Immer wieder fragt man sich: Sollte alles umsonst gewesen sein? Die Krudenburger scheinen durch die.große Spendebereitschaft, die sie zu Ehren ihrer Toten bei der Erweiterung des Denkmals erwiesen (über 2.500.- DM auf Anhieb !), zum Ausdruck bringen zu wollen, daß sie nicht nur das Opfer der Toten ehren, sondern durch diesen Stein allen Menschen zurufen möchte: "Gedenket vor allem der Schrecken eines Krieges und betet für dem Frieden!“ Gebhard, Truchseß von Waldburg, Erzbischof vom Köln, wollte die evangelische Lehre annehmen.

Der Papst bannte ihn und setzte Ernst von Baiern ein. Der Abgesetzte wehrte sich. So entstand der Truchseßkrieg: Der Graf vom Mörs und die Holländer unter Mauritz von Oranien halfen dem Truchseß, die Spanier halfen dem Ernst von Baiern. 1585 kamen die ersten Spanier bei Orsoy über den Rhein. 6000 Mann Fußvolk und 1200 Reiter unter den Obersten Montdragon. Erst bezogen sie Lager zwischen Wesel und Bislich, 5 Tage später bei Unter-Emmelsum, wo sie 5 Monate blieben.

Mauritz bezog das erste Lager der Spanier bei Bislich und sandte von dort den Grafen Philipp von Nassau mit 520 Reitern bei Krudenburg über die Lippe und durch Hünxe auf die Heide. Sie sollten spanische Futterholer-Truppe im dieser Gegend aufheben. Aber Montdragon hatte Wind davon bekommen und legte sich bei Stockhem in einen Hinterhalt. Graf Philipp und auch ein Graf Ernst von Solms verloren bei diesem Unternehmen Freiheit und Leben. Sie starben in spanischen Kerker in Rheinberg. Im nächsten Jahr kamen die Spanier unter dem Herzog vom Parma , aber diesmal vielfach stärker. Gebhard von Waldburg zog sich an Wesel vorbei nach Zutphen zurück. Wesel wurde von 1586-1590 von den Spaniern belagerte. Die umliegenden Dörfer wurden verwüstet (Chronik von Wesel). Räuberbanden auf den Landstraßen.

Sofort nach dieser Zeit belehnte ein Pastor Regnitanus aus Hünxe den Herrn Adolf von Hüchtenbrok auf Gartrop mit dem Dämmschen Kirchenzehnt als Erkenntlichkeit für die ihm "bey dero Hispanisch-Parmaschen Gemeinen Vatterlandes vieljährigen erbärmlichen und weltkundigen höchst betrauerlichen und gefährlichen Ravastationen erwiesenen und geleisteten Hospitalität und christlicher mitleidentlicher gutherziger Wohltaten." In dieser Zeit starben zu Wesel 13000 Menschen an der Pest. Als 1592 der schwachsinnige Herzog Johann Wilhelm in Cleve zur Herrschaft gekommen war, sorgten dessen spanische Räte dafür, daß bald die Spanier wiederkamen.

Diesmal mit 30 000 Mann unter Franz de Mendosa. Sie betrugen sich so, daß die Einwohner vom Orsoy ihren Herzog dringend baten, unter Zurücklassung allen Eigentums ihre Stadt verlassen zu dürfen. (Soweit sie reformiert warem). Die in den Orten um Orsoy liegenden Spanier verließen haufenweise die Fahnen, weil sie keinem Sold bekamen, und sie wurden zu einer wahren Landplage. Andere aber schickte Mendoza auch zu dem Zwecke aus, die Protestanten zu peinigen.

So wurden Reiter nach Brünen, Dingden oder Bocholt geschickt. Am 13. Oktober wurde Dinslaken besetzt. Dann bezog Mendoza ein festes Lager bei Bislich und Haffen-Mehr. Wesel sollte 50.000 goldene Kronen zahlen, wenn es unbehelligt bleiben wollte.

Für die hiesige Gegend war das gewiß Plage genug. Wer noch irgendeinen sicheren Aufenthalt wußte floh dahin. Im Jahre 1606 kam ein viertes spanisches Heer unter Spinola, der bei Dorsten über die Lippe ging und dann nach Holland marschierte. 1614 kamen die Spanier schon wieder mit einen Heer vor Wesel an, im Gefolge des Heeres viele Jesuiten. Gouverneur der Stadt wurde Don Juan de Gonzales. Die Greuel von 1585, 1586-90 und 1598 wiederholten sich nun doppelt. Da nun Wesel seit 1614 in der Hand der Spanier war, kam im Dreißigjährigen Krieg im Jahre 1625 ein Teil des Unionsheeres unter "dem Tollen Christian" (Christian von Braunschweig) hierher. Der konnte seine Scharen wegen des fehlenden Soldes auch nicht im Ordnung haltem, und so geschah wiederum viel Plünderung und Unrecht aller Art. Natürlich zogen bald Spanier unter dem Grafen von Anholt gegen Christian. Als dann 1628 noch Tilly mit seinem buntscheckigen, zerlappten und zerlumpten Heer dazu kam, da war die Umgegend hier so voller Lappen und Lumpen, daß das Verderben dieses großen Krieges auf seinem Gipfel war.

1629 wurde Wesel durch die Holländer vom spanischen Joch befreit. Aber. daß die nun hier regierenden Holländer für die Bauern auch schlimm waren, geht aus dem Schutzbrief hervor, den der Bauer te Heesen im Hünxe noch aufbewahrt: Otto, Baron de Gent , verspricht dem Bauern te Hessen, Scholt te Ree, Lindecamp, Gerd Stege, Hendrich Beckmann, Willen up dem Rühl, Gerd Has, Overland und Bernhard Storm, daß ihre Häuser, Höfe, Ställe, Scheunen, Möbel, Obstgärten, Bäume und Eigentum am Tieren "ok gen spier to mollestieren un to beschädigen“ sein sollten. Beim Zuwiderhandeln wird Strafe bei Leib und Leben angedroht. - Gegeben in Mai 1633. - Ob´s geholfen hat. Der Stadt Wesel ging es von nun an besser, aber die Umgegegend hat noch manches Kriegsheer der Schweden und Kaiserlichen sehen müssen.

Daß die Friedensglocken von Münster und Osnabrüok unserem Lande hier leider immer noch nicht den Frieden brachten, liegt daran, daß die Erbfolge in den clevischen Ländern auf den Friedenskongreß nicht entschieden worden war. Der Große Kurfürst und der Pfalzgraf von Neuburg hatten sich zwar 1614 in Xanten dahin geeinigt, daß ersterer Cleve, Mark und Ravensberg erben sollte, letzterer aber Jülich und Berg. Aber beide Teile waren mit diesem Vertrag nicht recht zufrieden. Jeder wollte des anderen Stück gerne dazuhaben. Der 1614 wieder katholisch gewordene Pfalzgraf bedrückte seine Untertanen, soweit sie evangelisch waren, und der Große Kurfürst machte es mit des in seinem Teil wohnenden Katholiken wohl ähnlich. Die Spannung wurde derart, daß jeder von beiden heftig Steuern eintrieb, um eine Armee anzuwerben. Als die Armeen angeworben waren, standen sie sich im Herzogtum Berg bald gegenüber. Man befürchtete bei Fürsten und am Kaiserhof einen neuen langen Krieg. Auf allgemeines Drängen kam so endlich im Jahre 1666 der Friede au Cleve zustande, in welchem der Vertrag von 1614 von Xanten bestätigt wurde. Am 8. September 1667 fand in Wesel die große Huldigung statt, aber der Große Kurfürst kam nicht selbst, sondern seine Stelle vertraten Wilhelm, Karl von Quadt zu Rodelöw und Wilhelm v. Elverich, genannt Haese. Trotzdem blieben die Holländer in Wesel bis 1672. Da wurden diese von den

Franzosen abgelöst. 1670 begann nämlich der Raubkrieg der Franzosen. Da wurde schleunigst das Hünxer Kirchenarchiv nach Schloß Crudenburg gebracht, Der Pastor Wilhelm Bönneken aus Hünxe hielt den Gottesdienst in der Kapelle zu Bruckhausen ab, weil die Bruckhausener sich nicht getrauen konnten, nach Hünxe zur Kirche zu gehen. 1672 hatte ein großes Heer der Franzosen unter Condé die 1500 Mann starke holländische Besatzung aus Wesel sehr schnell überwältigt. Die beiden Bischöfe von Köln und Münster waren mit den Franzosen in Bunde. Der Große Kurfürst kam mit einen Heer nach Westfalen, um sein Land zu verteidigen. Ihm zog aber ein noch größeres Heer der Franzosen unter Turenne entgegen.

Daß die hiesige Gegend wieder viel zu leiden hatte, geht aus einer Bittschrift der Hünxer Bauern an ihren Herrn Ewald von Vehlen auf Crudenburg hervor. Sie bitten um Befestigung der Hünxer Kirchhofsmauer, damit sie mit Vieh und Möbeln dorthin fliehen könnten. Graf Ewald genehmigte das Holz für die Anlage. 1673 schloß der Große Kurfürst zwar den Frieden von Voßem mit Frankreich, aber die französische Besatzung blieb in Wesel und Rees. Schon von 1673 findet sich eine

Brandschatzungsordre im Hünxer Kirchenarchiv. Quittungen für empfangene Unterhaltungsgelder für die Armee finden sich im Archiv vielfach mit Unterschriften wie "Bricault" oder "du Monceau" oder „B,Nouet“. 1679 schloß dann der Große Kurfürst den Frieden von St. Germain - und 1680 zogen die Franzosen von hier ab. - Fast während des ganzen Siebenjährigen Kriegen war Wesel in den Händen der Franzosen. Um 1757 mußten die Geistlichen der Dinslakenschen Classe (Synode) 351 Thaler Contributionen bezahlen. Eine Lieferung an Fourage jagt die andere.

Über die Zeit der Napoleonischen Kriege erzählt die hiesige Chronik nichts: Es sei denn, eine Notiz über den damaligen Lehrer Tenbergen: Derselbe soll sich 1809, als Napoleon die Chaussee von Wesel nach Münster baute, mit Steineklopfen ernährt haben. Er kam nach Gemen. Und: 1813 ist aus Krudenburg ein Färber namens Terstegen im Krieg. - So, lieber Herr Nesbach, nun will ich an dem schönen Himmelfahrtstage aber doch mal was anderes tun, als in alten Daten und Histörchen zu wühlen.. Hoffentlich habe ich Ihnen etwas gedient.

 

Mit freundlichen Grüßen ihr

gez.: Kurt von Mallinckrodt

 

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